Von der Angst des Politikers vor den Fundamentalisten. Salome an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, dieses Mal wird uns kein Lustgreis und kein feister Kinderschänder im orientalischen Ambiente präsentiert. Es patrouillieren auch keine schwer bewaffneten Soldaten im Kampfanzug von heute. Salome ist auch kein sich langweilender Punk, der sich ein neues, leider tödlich ausgehendes Spielchen ausgedacht hat, und Jochanaan ist kein ‚Prophet aus der Wüste‘.
Von all diesem konventionellen Plunder will Theatermacher Ivo van Hove nichts wissen. Das orientalische Ambiente reduziert sich für ihn zum Postkarten Zitat der Lobby eines Luxushotels – ein Ausschnitt in einer schwarzen Bühnenwand. Alles Geschehen ereignet sich auf der schwarz ausgekleideten Vorderbühne, der, wenn man so will, Terrasse des zitierten Hotels. Dekor und Requisiten sind überflüssig.

Herodes ist ein gut aussehender Politiker von heute im üblichen eleganten blauen Anzug, der wohl eine Konferenzpause nutzt, um auf der Terrasse nach seiner Stieftochter Salome auszuschauen. Herodias – im etwas aus der Mode gekommenen Cocktailkleid – ist wohl des Damenprogramms für Politikergattinnen überdrüssig und sucht sich auf der Terrasse zu entspannen. Der Prophet, wie er da aus dem Untergrund auftaucht, ist ein proletarischer Straßenprediger, der gar nicht versteht, warum die elegante junge Dame in ihrem weißen langen Kleid ihn so penetrant anmacht, der dann zunehmend Feuer fängt und dem trotz seines Wortschwalls die körperliche Nähe der jungen Frau gar nicht unangenehm ist.
Herodes ( in der Person des Lance Ryan) ist ein Politiker, der Angst hat, Angst , seine Macht zu verlieren, ein Politiker, der den Streitigkeiten und Forderungen der jüdischen und christlichen Fundamentalisten nichts entgegen zu setzen weiß, den die schreienden Prophezeiungen des Jochanaan in Schrecken versetzen, der eher aus Überdruss und Langeweile und weniger aus Lust auf erotische Eskapaden in die Salome Geschichte gerät.
Die Salome Geschichte wird bei dieser Grundkonzeption mit ihrer so ungewöhnlich starken Betonung der Figur des Herodes beinahe nur Nebenepisode, allerdings zu einer im zweiten Teil spektakulär in Szene gesetzten Episode. Nicht Salome tanzt. Die ganze Gesellschaft, die Herodes zur Konferenz eingeladen hat, steigert sich in orgiastische Tänze hinein, und Salome gibt sich ganz ihren erotischen Wünschen und sexuellen Begierden hin – in ihrer Imagination. In dieser ihrer Phantasiewelt erträumt sich einen Vereinigungstanz mit dem Macho aus der Unterschicht, einen Tanz, den ihr eine Videoeinspielung vorgaukelt – und den das Publikum als Voyeur erlebt.

Und die berüchtigte Schlussszene? Hier setzt die Regie – in scharfem Kontrast zur Tanzszene – auf einen geradezu grotesken Hyperrealismus . Salome vergnügt sich mit dem noch zuckenden blutigen Leichnam des hingerichteten Propheten, und ihr weißes Kleid wird über und über mit Blut besudelt. Nekrophilie gepaart mit Entjungferung ? „Allein was tut’s. “ Malin Byström ist als Salome eine grandiose Sängerin und Schauspielerin, die die Exzesse der Regie leichthin überspielt, alle anderen Mitwirkenden überragt , die so fasziniert, dass das Publikum geradezu den Atem anhält.

Ein großer Opernabend in Amsterdam – leider mit einem kleinen Schönheitsfehler. Warum Maestro Gatti am Pult des Concertgebouworkest die Sänger im ersten Teil so zudecken musste, dass ein Sänger mit einer so mächtigen Stimme wie Evgeny Nikitinin in der Rolle des Jochanaan ständig forcieren musste und manchmal gar nicht mehr zu hören war, das habe ich nicht verstanden.
Wir besuchten die Aufführung am 24. Juni 2017. Die Premiere war 9. Juni 2017.