Die groteske Mär von der Angst des Mannes vor … Herbert Fritsch inszeniert den Freischütz in Zürich

Für den Freischütz braucht man doch nicht gleich nach Zürich zu fahren – so ein gängiges Vorurteil. Doch wenn Marc Albrecht dirigiert und Herbert Fritsch inszeniert, dann lohnt die lange Fahrt alle Male. Dann ist alles anders. Dann ist aller Staub weggeblasen, alles Konventionelle verschwunden. Dann wird aus der „romantischen Oper“, die so vielen Generationen als ‚deutsche Nationaloper‘ verkauft wurde und mit der wir schon in der Schule gequält wurden, ein Ereignis.

Schon die Ouvertüre läßt aufhorchen, klingt sie doch bei Albrecht ganz anders als gewohnt. Das Dunkle, das Böse, die Angst und die Qual des Protagonisten werden betont und das Lichte, das Rettende, das, wenn man so will, das Heilige werden zurückgedrängt. Und das nicht nur in der Ouvertüre. Wenn sich das Heilige wie bei der Cavatine der Agathe zu sehr aufdrängt, sich gefährlich dem Kitsch nähert, dann, so schien es mir, gibt das Orchester eine ironische Antwort, karikiert das Heilige. Und Max , so suggeriert die Musik, zog nie “ durch die Wälder, durch die Auen leichten Schritts dahin,“ ihn dominieren stets die Angst und das Grauen.

Die Angst wovor? Die Antwort gibt die Regie, wenn sie das gesamte Geschehen in die Groteske verzerrt. Die Groteske meint ( mit unmarkierter Referenz auf die romantische Ästhetik) das Häßliche, das Komische, das Bouffoneske, das sich mit dem Grausigen verbindet. Doch anders als in der romantischen Ästhetik gibt es bei dem Grotesken, das die Regie in Szene setzt, , nicht den Gegenpol: das Schöne, das Sublime, das Heilige. Auch die Figur der Agathe, der dieser Gegenpol zukommen könnte, ist bei Fritsch eine groteske Figur: eine große Puppe im mächtigen blauen Reifrock, mit roten Rosen als Kopfschmuck, thront sie in einer Blütengrotte, hält den Kopf leicht zur Seite wie eine Heiligenfigur, mimt die Jungfrau im Rosengarten und zugleich die heidnische Fruchtbarkeitsgöttin. Umschwebt wird die Göttin vom Engelchen Ännchen, von Maske und Kostüm her eine Käthe Kruse Puppe.

Diese Agathe macht dem armen Max mächtig Angst: nie wird er einen Probeschuss bei dieser dominanten Frau landen. Mag er auch unter ihren weiten Rock kriechen, um vielleicht Schutz bei der großen Mutter zu suchen.

Man braucht nicht im Programmheft die Grundkonzeption der Regie nachzulesen, die Fritsch dort geradezu apodiktisch  verkündigt. Die Szene macht sie überdeutlich.

“ Ein großes Thema ist die Angst des Mannes vor der Frau. Die Angst, sich einer Frau gegenüber klein  und ohnmächtig  zu fühlen und dann nach Hilfe zu suchen, und diese Hilfe nicht zu bekommen und dann kaputt zu gehen. So ergeht es Max“.

Keine Angst. Fritsch legt den armen Max nicht auf die Couch. Wir sind nicht im Behandlungszimmer des Doktor Freud und seiner Jünger. Wir sind auf der Bühne des Theatermachers Fritsch. Und dort wird aus einem Fall für die Doktoren eine Groteske, eine schnelle Komödie, in der ein Gag den nächsten jagt. Das fängt schon bei den scheinbar unverzichtbaren Requisiten, den Gewehren an. Es  Es gibt sie nicht.Es gibt kein schnelles „Rohr“,  so wenig wie es einen Steinadler , eine Taube oder Freikugeln gibt. Das Rohr ist ein anderes. Das Rohr, an das sich der verzweifelte Max klammert, tut keinen Schuß. Die Aufgabe, an der Max scheitert, übernimmt für ihn der Teufel, eine Märchenfigur im roten Wams, mit Federhut und langem Teufelsschwanz. Die Teufelsfigur ( im Libretto Samiel) ist stets präsent, ungesehen und unerkannt, spielt der Teufel mit , ist er der Spielleiter, der alles und alle manipuliert, ein Teufel, der zugleich wie ein Harlekin auftritt, ein Harlekin, der lächelnd und lachend seine grausamen Scherze treibt und der im Finale die scheinbar so fromme Agathe lachend zufrieden stellt und diese zu einem befreienden (?) oder vielleicht doch eher entsetzen Lachen provoziert. Zur Groteske gehört eben das Lachen – und auf dieses Lachen setzt die Regie von Anfang an.

Die Bauern und erst recht die Jäger sind geradewegs einem  schwyzerischen Komödienstadel entlaufen , der Oberförster ist zum Werwolf mutiert. Der Fürst, der Eremit und Agatha – sie trägt im Finale eine Art Blumenrad auf dem Kopf -haben wohl gerade bei einem Arcimboldo  Epigonen Modell gestanden. Der Eremit schwebt im Wortverstande als vertrockneter Strohmann vom Himmel und könnte bei Arcimboldo den Winter geben, der Fürst  mit den ihm auf dem Kopf wachsenden Ähren stünde für den Herbst,  und Agathe wäre dann die Allegorie des Frühlings und wieder die Fruchtbarkeitsgöttin. Und Max ? Er möchte zu gern wissen, was sich wohl unter dem weiten Rock der Agathe tut. Er wird es nie erfahren.

Die Vielzahl der  Referenzen und Analogien, die die Szene zitiert, braucht man nicht zu kennen oder zu erkennen. Sie zu erkennen erhöht nur den Spaß. Der Freischütz, wie ihn Fritsch in Szene setzt, ist eben vor allem ein großer Spaß, eine große Komödie. Wer diese Lesarten gegen den Strich mag, der erlebt wie schon bei Fritschs Berliner Don Giovanni oder seinem Zürcher King Arthur brillantes Theater.

Wir sahen die Aufführung am 5. Oktober 2016. Die Premiere war am 18. September 2016.