Florian Leopold Gassmann, L’Opera Seria. Eine Buffa über die opera seria und den Opernzirkus im Settecento

Das berühmte (und betagte) Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel ist eine Baustelle, und  da spielt halt die Brüsseler Operncompagnie im Cirque Royal, in der Manege. Eine Herausforderung, mit der Sänger, Musiker, Regisseure, Techniker und auch das Publikum souverän umzugehen wissen. Spielfläche ist ein auf die Manege gebautes Podest, Hinterbühne ist der Vorraum vor  der großen Tür, aus der die Zirkusartisten aufzutreten pflegen. Vorderbühne und dritte Spielfläche ist der schmale Gang zwischen den Plätzen für das Publikum und der Manege. Das  zweigeteilte Orchester  ist beiderseits der Manege nahe der Hinterbühne platziert.

Oper ohne Guckkastenbühne, ohne Vorhang, ohne Orchestergraben, Theater ohne scharfe Trennung von Akteuren und Zuschauern, eben totales Theater. Mit anderen Worten: eine Bühne, die für eine Oper, in der die Oper und die Opernproduktion selber Gegenstand der Oper sind, eine Fülle von Möglichkeiten bietet. Und die Regie (Patrick Kinmonth) weiß diese zu nutzen.

Gassmanns „Opera Seria“ vom Jahre 1769 ist zwar auch eine Parodie auf die klassische opera seria. Doch zugleich ist sie – und das schon von der Handlung her – eine Parodie auf die Entstehungsbedingungen einer opera seria. Zu diesen Bedingungen gehört ein Impresario, der vor allem, wenn nicht gar ausschließlich, am finanziellen Erfolg der Produktion interessiert ist und der sich hier im Stück (ganz nach den Schemata der Parodie) als Bankrotteur mit der Kasse davon macht. Zu den Bedingungen und konsequenterweise zu deren Parodie  gehören des Weiteren Sängerinnen, die ihre Rivalitäten und Eitelkeiten auf die Spitze treiben, ein Primo Uomo, der am liebsten nur seine Erfolgsarien, seine Schlager, singen möchte, ob sie nun zur Handlung passen oder nicht und der Librettist und Komponist, die sowieso schon zerstritten sind, mit seinen ständigen Änderungswünschen zur Verzweiflung bringt. Des Weiteren  gehören dazu Balletteinlagen, die nicht im Entferntesten etwas mit dem  Stück zu tun haben.  Und nicht zuletzt wollen auch noch die Mütter der Sängerinnen intervenieren.

All diesen Nonsens, all diese verrückten eitlen Figuren, die sich da über drei Stunden lang auf der Szene tummeln, all dies brauchten Gassmann und der Librettist Calzabigi nicht zu erfinden. Sie fanden es schon vor: in einer im 18. Jahrhundert berühmten Satire auf das Theater: Il Teatro alla moda von Benedetto Marcello. Ein in Venedig schon im Jahre 1720 publiziertes Kompendium der Verrücktheiten des Opernbetriebs, auf das hinzuweisen sich kaum ein Dramaturg entgehen lässt und das selbstverständlich auch im Programmheft der Brüsseler Oper ausgiebig zitiert wird.

Doch der philologischen und theatergeschichtlichen Gelehrsamkeit braucht es gar nicht, um an Gassmanns opera buffa über die opera seria seinen Spaß zu haben. Überlagerungen von seria und buffa, diese hybride Opernform, kennt das Publikum schon von der populären Ariadne auf Naxos her und weiß sie zu goutieren. Ganz abgesehen davon, dass die Regie die bei Gassmann und Calzabigi schon überaus deutlichen Überformungen und Parodien auf die Spitze treibt. Da steht der Primo Uomo im  schweren Gewand und mit einer abstrus  grotesken Kopfdeckung stocksteif herum  und trillert durch die Oktaven. Und die Primadonna in großer Staatsrobe und vor orientalischem Dekor tut es ihm nach und will  noch dazu mit ihrer Arie nie zu Ende kommen. Erst das Gejohle und  Pfeifen des Publikums im Publikum erzwingen den Abbruch der Arie und der opera seria, um die sich das streitsüchtige Ensemble im ersten und zweiten Akt so bemüht hatte. Aber jetzt ist es zu spät: die Oper ist durchgefallen, und der Impresario mit dem signifikanten Namen „Fallito“ ist schon mit der Kasse durchgebrannt. Und auch die Mütter  der Sängerinnen wissen keinen Rat. So bleibt allen nur, jeglichen Impresario und dessen Metier zu verfluchen: „Noi giuriamo qualunque impresario / Di far sempre fallir o crepar“.

Und natürlich gibt es in der Musik eine Vielzahl von Parodien auf die opera seria. René Jacobs, dem die Wiederentdeckung der „Opera Seria“ zu verdanken ist und der auch die Produktion in Brüssel leitet, nennt im Programmheft, in seinem einführenden Artikel, eine ganze Reihe von Beispielen: „Calzabigi et Gassmann poussent la caricature à l’extrême en épinglant quantité de défauts sympthomatiques de l’opéra seria: de nombreux airs sont introduits par des ritournelles exagérément longues, comme si un concert instrumental allait débuter. – L’aria di paragone (air de comparaison), composante incontournable de tout opera seria ,[…] est ici parodié dans un air de Porporine d’une ineffable drôlerie, dont l’accompagnement orchestral doit imiter les sauts d’un dauphin.“ (p.30). Und die Regie setzt auf diese musikalische Parodie noch eine szenische oben drauf. Mit Hilfe der Komparsen  lässt sie die Sängerin auch noch die Sprünge und Schwimmbewegungen der Delphine parodieren. Ein großer Spaß.

So haben wir denn  am 11. Februar 2016 im  Cirque Royal eine grandiose Buffa gesehen und ein brillantes Ensemble von Sängerschauspielern der Spitzenklasse erlebt.  Hoffen wir auf eine Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit.