Heinrich Marschner: Hans Heiling. Eine Ausgrabung im Theater an der Wien

Ausgrabung tut Not. Und da sich viele Schatzgräber erfolgreich im Settecento umtun, könnte man es ja auch einmal in den Katakomben der deutschen Romantik versuchen. Im Theater an der Wien haben sie es versucht. Doch was sie da aufwendig und mühevoll ausgegraben haben, ist – mit Verlaub gesagt – nicht reines Gold. Was sie gefunden haben, das sind ein paar Tonscherben. Tonscherben, mag man sie auch übermalt und scheinbar modisch arrangiert haben, die nicht als Ausstellungsstücke taugen.

Anders ausgedrückt: es muss ja nicht immer Weber, Lortzing und der frühe Wagner sein. Doch mit Marschners „ romantischer Oper“ vom Jahre 1833 lässt sich wohl kaum das Repertoire der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts auffüllen. Ich will ja nicht sagen, dass die Musik nicht gefällig sei.  Die Musikhistoriker werden zweifellos manche Höhepunkte zu benennen wissen und auf Passagen verweisen, die auf Wagner vorausdeuten. Ich muss gestehen, ich fand die Musik eher langweilig, mögen der Titelheld sich in manchen Ausbrüchen der Verzweiflung auch als der kleine Bruder vom Fliegenden Holländer und sein Rivale, der Jäger Konrad, wie eine Karikatur des Erik gebärden.

Die Regie gibt sich höchst anspruchsvoll. Sie hat die romantische Handlung nicht nur radikal modernisiert und ‚psychologisiert’, sondern setzt noch dazu auf ‚gesellschaftliche Relevanz’. Aus der Erzählung vom Geisterkönig Hans Heiling, der seiner dominanten Mutter entfliehen will, Liebe und Lust bei einer irdischen Frau sucht und erbärmlich scheitert, aus dieser Variante des Undine/Rusalka Mythos macht die Regie schick und plakativ modern die Geschichte eines Missbrauchsopfers, die Geschichte eines Mannes, der als Kind und Heranwachsender von seiner Mutter sexuell missbraucht wurde, der von dieser so Besitz ergreifenden Mutter nicht mehr loskommt – und sie nicht von ihm – und der im Selbstmord den einzigen Ausweg sieht.

So sehen wir denn auf der Bühne statt eines romantischen Märchens ein Stück aus der Psychohölle – eine Hölle, die uns in aller Ernsthaftigkeit, ohne einen Funken von Ironie, ohne auch nur einen Ansatz von Parodie vorgeführt wird und die doch den Zuschauer kaum berührt. Die Katastrophe ist zu Beginn schon eingetreten. Sie wird als Rückblende aus der Sicht der Mutter, die sich am Grabstein des Sohnes der Geschichte erinnert, erzählt. Und ganz entsprechend dieser Perspektive verliert das Thema des Kindesmissbrauchs an Durchschlagskraft. Nicht die Mama ist schuld, sondern das flatterhafte Mägdelein, das den düsteren Macho Heiling flieht.

Psychostudie und romantisches Treuethema, das passt schon bei Inszenierungen des Fliegenden Holländers nicht so recht zusammen, und auch jetzt beim Hans Heiling hakt es immer wieder. Das eher leichte romantische Geschehen schlägt die Regie mit dem Psychohammer geradezu platt. Erst im finalen dritten Akt, in der Fieber- und Wahnszene des Protagonisten, da fügen sich die Themen zusammen: die Sinnlosigkeit der Flucht, die Vergeblichkeit der Liebe, die Angst des Mädchens vor einer Verbindung mit dem Fremden, die ewige Dominanz der Mutter. Und dieser dritte Akt ist auch der Höhepunkt der Regiearbeit– der einzige Höhepunkt in einer ansonsten recht hölzernen Inszenierung. Zum Trost: die beiden Hauptrollen waren mit Michael Nagy als Hans Heiling und Angela Denoke als Mutter brillant besetzt.

Wir sahen die Aufführung am 23. September 2015. Die Premiere war am 13. September 2015.