Lohengrin bei den Logenbrüdern und „unter Lilien vergessen“. Eine Wiederaufnahme am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

Einen in Musik und Szene  recht heterogenen Lohengrin bietet man in Wiesbaden, eine Aufführung, die mich etwas ratlos lässt. Ich enthalte mich jeglicher Sängerkritik. Sie steht mir als simpler Opernbesucherin nicht zu.  Ich erlaube mir nur ein paar allgemeine Bemerkungen. Das Heterogene beginnt schon beim Ensemble. Seltsam erschien es mir, dass wohl nur  die Partien des ‚hohen Paars‘ herausragend besetzt waren, dass Elsa und Lohengrin (Johanni van Oostrum und  Marco Jentzsch)  in Stimme und Bühnenerscheinung faszinierten und dass im Gegensatz hierzu andere tragenden Rollen – um es vorsichtig zu sagen – nicht unbedingt optimal besetzt waren.

Ob aus dem Orchestergraben  wirklich der so ‚rauschhafte‘ Wagner  klang, der angeblich anämische Jünglinge fiebern, sie „erstarrt, blass, atemlos“ werden lässt? Hat Wagner an diesem Abend „mit Musik hypnotisiert“? Zumindest dem Herrn vor mir, der ständig mit seinem Handy spielte, widerfuhr dieser Zustand nicht und wohl auch nicht den beiden treuen alten Abonnenten neben mir, die nach dem zweiten Akt nicht wiederkehrten. Wahrscheinlich tue ich den Musikern Unrecht. Doch mit Verlaub gesagt: diese Wiesbadner Lohengrin Musik vermittelt weder Rausch noch Melancholie. Der Meister „in Tönen eines schwermütigen und schläfrigen Glücks“, um noch einmal Nietzsche zu zitieren, schien mir fern.

Ich will ja nicht sagen, dass es mir nicht gefallen hat. Doch von einem so berühmten Haus wie dem einstigen Wiesbadner Hoftheater – ein neobarocker Fellner und Helmer Prachtbau, bei dem die beiden damaligen Stararchitekten wohl an nichts zu sparen brauchten, von einem Haus mit diesem Renommee hatte ich mir eigentlich ein bisschen mehr als grundsolides Stadttheater gehobener Kategorie erwartet. Aber vielleicht ist ja bei den „Internationalen Mai-Festspielen“ alles anders?

Und die Inszenierung? Wir sahen die Neueinstudierung der Inszenierung von Kirsten Harms aus dem Jahre 2012. Auch hier stößt man sich am Heterogenen. Die Regie verzichtet auf alle Mittelalter Klischees, verlegt die Handlung unter die Freimaurer und lässt  allen ideologischen Überbau beiseite. Dieser  Lohengrin, wie er da in seinem weißen eleganten Sommeranzug bei den überraschten Logenbrüder auftaucht, ist weder ein Künstler noch ein ‚Außerirdischer‘, weder ein Verführer noch ein Erlöser. Er ist eher ein Schauspieler, der wohl aus einer Aufführung der Sommergäste mal eben zu den Logenbrüdern herüber kommt, einen Streit schlichtet, eine Frau für sich einnimmt  und  der, da seine Forderung nach Diskretion nicht erfüllt wird, einfach wieder abgeht.

Ist das fragmentarische Zitieren von Literatur und Film vielleicht die Grundkonzeption der Inszenierung? Ist die Logenbrüderversammlung im ersten Akt, die da über eine verhuschte Elsa (in Kostüm und Maske einer gebeutelten jungen Frau aus einem neorealistischen Film) urteilt, eine Variante der Priesterversammlung in der Zauberflöte? Ist die groß dimensionierte Erscheinung des Schwans ein Verweis auf Werner Herzogs Lohengrin? Ist die Szene Ortrud/Telramund  im zweiten Akt vielleicht eine Parodie auf einen Hexensabbat? Ortrud, die gerade einen Schwan geköpft hat, zwingt den armen Gatten, Blut zu trinken? Wenn im Finale des zweiten Akts die Logenbrüder (bei Wagner die „Edlen von Brabant“) sich unter großen schwarzen Regenschirmen verstecken, erinnert die Regie dann an das Film-Musical Singin‘ in the Rain?

Im dritten Akt öffnet die Regie die Datei  ‚Höhenkammliteratur‘. Elsa und Lohengrin singen und träumen von ihrer Liebe inmitten eines Lilienfeldes. Was manchem Zuschauer vielleicht als Kitsch, meinetwegen als subtiler Kitsch, vorkommen mag, ist eine Hommage an die mystische Literatur, ein Zitat aus einer Ode von San  Juan de la Cruz:

„ […] alles schwindet, ich geb mich hin,

nichts ahnend mehr,

unter Lilien vergessen.“

“[…] entre las azucenas olvidado.”

Dass aus dem Vergessen nichts wird, das wissen wir als kundige Opernbesucher. Der Schauspieler Lohengrin erzählt noch schnell den Logenbrüdern ein hübsches Märchen und verschwindet in Wiesbaden im Wortverstande in der Versenkung.

Allgemeiner Beifall für alle Mitwirkenden. Wie seltsam. Wie  wohl einst zu Kaisers Zeiten. Im Wiesbadner Hoftheater scheint die Zeit still zu stehen.

Wir sahen die „Premiere der Neueinstudierung“ am 15. März 2015.