The Turn of the Screw hatte ich vor gut zwei Jahren zuletzt in Düsseldorf gesehen und war von Musik und Szene beeindruckt, besser gesagt: fasziniert. Diese so eingängigen kammermusikartigen Klänge, die verwirren und den Zuhörer zugleich einfangen. Vieldeutig wie die Szene. In Düsseldorf hatte die Regie, wenn ich mich recht erinnere, den Hauptakzent wohl auf das Grauen, das Gespenstische, auf das Verschwimmen von Wahn und Wirklichkeit gesetzt. Mit einem Wort: die Regie hatte vor allem die schwarze Romantik evoziert.
Keine Frage, dass – wie schon in Düsseldorf – auch in Berlin (hier unter der Leitung von Ivor Bolton) ein Britten der Spitzenklasse erklingt – mit einer Besonderheit. Im Gegensatz zu Düsseldorf wird in Berlin die Rolle des Miles nicht von einem Knabensopran, sondern von einem jungen Countertenor gesungen – mit dem Effekt einer stärkeren Erotisierung, ein Effekt, der nicht zuletzt der Szene und der Beziehung zwischen Miles und der Governess zu Gute kommt.
Erträumt sich die Governess das ganze Geschehen, erträumt sie sich den pubertierenden Knaben als Sexualobjekt? Sind die Gespenster, die sie zu sehen und zu hören glaubt und die angeblich den Knaben und das Mädchen vernichten wollen, nur Wahnvorstellungen der jungen Frau? Ist die Governess nicht ein pathologischer Fall? All dies und noch vieles mehr deutet die Regie an und lässt doch alles in der Schwebe, lässt der Imagination der Zuschauer freien Raum, auf dass diese die Lösung des Rätsels finden mögen, eine Lösung, die es nicht gibt.
Nur einmal, ganz zu Anfang, lenkt die Regie die Imagination der Zuschauer in eine bestimmte Richtung, in die Richtung des Traumdiskurses. Nach dem pantomimischen Gespräch mit dem Vormund der Kinder macht sich die Governess – so will es das Libretto – auf die Reise zu den Kindern. Die Reise – so will es die Regie – findet nicht statt. Statt zu reisen, fällt die Governess in Schlaf, in einen Schlaf – so heißt es einmal bei Goya in den Caprichos – „que produce monstruos“. Monster werden in diesem Schlaf nicht nur die Kinder. Die scheinbar so gütige und scheinbar am Wohl der Kinder so interessierte Governess wird selber zum Monster, das den Jüngling Miles erwürgt. Alles nur ein Traum, ein Albtraum? Eine mögliche Deutung des Geschehens, die die Regie vorschlägt, ohne sie indes dem Zuschauer aufzwingen zu wollen. Mag er sich selber einen Reim machen auf das, was er da auf der Szene sieht. Libretto wie Inszenierung sind „offene Kunstwerke“.
Claus Guth als Regisseur und Maestro Ivor Bolton haben uns wie schon so manches Mal an anderen Orten auch in Berlin einen großen Opernabend bereitet.
Wir sahen die Aufführung am 27. November. Die vierte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 15. November 2014.