Les pêcheurs de perles: eine Reality-TV-Show nebst Publikum vor den Bildschirmen am Theater an der Wien

Die Musik sei voller Perlen und Juwelen. Das Libretto sei dürftig – so liest man es in den Handbüchern und Programmheften. Ob Bizets Musik wirklich so herausragend ist, das mag und kann ich nicht beurteilen. Der böse Ironiker Nietzsche stellt in seiner Polemik gegen Wagner bekanntlich den Bizet der Carmen über Wagner. Wie dem auch sei. Keine Frage, dass die Perlenfischer eine ganze Reihe von Glanznummern bieten: für Sopran, Tenor, Bariton und Chor. Doch mögen Solisten und Chor – allen voran natürlich Diana Damrau als Protagonistin und Star des Abends – auch  noch so brillant gesungen haben, ich fand den musikalischen Part eher langweilig.

Ganz anders die Inszenierung. Hier zieht Theatermacherin Lotte de Beer alle Register, zeigt ‚Regietheater‘ im besten Sinne des Wortes – und erschlägt mit ihrem Witz, ihrer Ironie, ihrer Parodie, einer Parodie, die sich immer mehr zur Satire steigert, geradezu die Musik, reduziert sie zum Soundtrack für das Spektakel. Die Regie lässt sich vom angeblich so schwachen Libretto nicht weiter stören, bewahrt nur dessen Grundstruktur – die Dreiecksgeschichte mit den obligatorischen Ingredienzen: Passion (‚amour fou‘), Eifersucht und Todesdrohung – und erfindet eine neue Geschichte. Eine Geschichte, die sie in der Medienwelt von heute spielen lässt. Diese neue Geschichte nennt Lotte de Beer „Challenge“ und setzt diese „Herausforderung“ als Reality-TV-Show in Szene: „Westliche Kandidaten, die sich auf einer exotischen Insel in eine „Challenge“ – eine Herausforderung begeben, ohne zu wissen, was sie erwartet. Gezeigt werden jedoch nicht nur die Kandidaten, sondern auch das Produktionsteam selber [….]. Und das Volk, das sind wir, die Fernsehzuschauer, die mit ihren Handys ihre Stimme für den jeweiligen Kandidaten abgeben können“ (de Beer im Programmheft S. 25). Mit anderen Worten: was wir auf der Szene sehen, das ist ‚Dschungelkamp‘ plus Metatheater plus Voyeurismus.

Hochkultur (Musiktheater begreift man, soweit ich weiß, immer noch als Hochkultur) transponiert in Subkultur? Nein, so simpel ist es nicht. Die Grundkonzeption der Regie ist weit subtiler als es zunächst den Anschein hat. Sie parodiert die Subkultur mit ihren Figuren und ihren Themen, ihren Machern und ihren Produktionstechniken und nicht zuletzt mit ihrem Publikum. Nicht genug damit: sie macht sie alle zu Objekten einer bösen, mitleidslosen Satire. Da treten die kleinen Unterschicht Machos auf, die,  ganz wie sie das aus den populären Serien kennen, sich um dieselbe Frau, ein eher unscheinbares Gänschen, balgen und mit der Bierflasche in der Hand Männerfreundschaft beschwören. Da gibt es den arroganten Produzenten, der, koste, was es wolle, seine Show durchziehen will, den stets hektisch bemühten Regieassistenten, den Regisseur, der sich wohl für Godard hält, den emsigen Kameramann nebst gelangweilten Assistenten. Und da gibt es auf der Hinterbühne das Publikum an den Bildschirmen, ein Publikum aus allen Schichten und Klassen.  Allesamt  sadistische Voyeure, die Blut sehen wollen und mit großer Mehrheit die Todesstrafe für das Liebespaar, das  gegen das Keuschheitsgebot verstoßen hat, fordern.

Parodie und Satire treffen, wenn auch in geringerem Maße, auch die Hochkultur. Wenn Leila (in der Person der Diana Damrau)  ihre Auftrittsarie zu Beginn des zweiten Akts vorträgt, dann erscheint sie im Fitness Studio Dress und begleitet ihre Arie mit Yoga Übungen. Im Sinne der Dschungelkamp Situation ist  das nur konsequent.  Zum Challenge war die Dame ja zwecks Selbstfindung angereist. Zum Finale darf das Liebespaar auf dem Scheiterhaufen Jeanne d’Arc oder Troubadour spielen, „Martern aller Arten“ mit „geläufiger Gurgel“ mimen und singen. Und das Publikum vor den Bildschirmen darf sich erregen.

Keine Frage: In dieser Version garantieren Les pêcheurs de perles einen höchst unterhaltsamen Abend. Das Publikum im Saale ist aufgekratzt wie bei einer Karnevalsoperette, fühlt sich von der letztlich bitterbösen Satire auf die TV-Subkultur und deren Publikum nicht getroffen. Ja, wir sind doch keine sadistischen Voyeure. Das sind doch die anderen.

Wir sahen die Aufführung am 25. November, die dritte Aufführung nach der Premiere am 16. November 2014.