Beim Nürnberger Gluck-Festival ist eine Rarität zu hören. Paride e Elena. Nach dem Orfeo und der Alceste angeblich Glucks dritte ‚Reformoper‘ auf ein Libretto von Calzabigi. Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: es wird der übliche subtile Orchesterklang, der ‚erhabene‘ Gluck geboten, es wird herausragend gut gesungen (allen voran Anna Dennis in der Rolle des Paris) – und es wird alles Sublime, alles Schöne, alles ‚Erhabene‘ mit einem sadistischen Regiekonzept gewaltsam zerstört.
Die typische Programmheftinszenierung mit beiliegender Gebrauchsanweisung und dazu ein Regieteam auf dem Egotrip, das eine Sadismus Marotte und seine misogynen Anwandlungen auf der Opernbühne austoben möchte. Was die Regie den beiden Protagonistinnen abverlangt, das ist schon recht ungewöhnlich und dazu dramaturgisch überhaupt nicht notwendig. Ein paar Beispiele aus dem Katalog der Grausamkeiten: da ertränkt Amor Paris im Wassergraben, zu den Arien der Helena wird Paris von Soldaten geschlagen und vergewaltigt. Helena darf leicht bekleidet aus einem Loch im hälftig zugedeckten Orchestergraben klettern, wird in einen der vielen Wassergräben geworfen, die eine emsige Bühnentechnik angelegt hat, wird mit Farbe bemalt, ins Gesicht geschlagen, mit Fußtritten malträtiert, darf sich einen Eimer Wasser über den Kopf schütten, wird mit dem Gartenschlauch abgespritzt, wird von einer Athene, die im Nato grünen Drillichanzug auftritt, zur Irren geschminkt. Und damit die Voyeure im Publikum auch ein wenig leiden müssen, werden sie im zweiten Teil mit starkem Scheinwerferlicht, das auf den Zuschauerraum gerichtet ist, geblendet.
Was ist das Ziel all dieser Torturen? Soll die romantische Ästhetik vom Kontrast zwischen Sublimem und Groteskem in Szene gesetzt werden? Das ist eher unwahrscheinlich. Zum Grotesken gehört das Komische. Doch davon will die Regie nichts wissen. Es ist wohl eher so, dass mit billigem Trash und dümmlichem Sadismus das Publikum provoziert werden soll. Verehrtes Regieteam, das Publikum hat sich nur gelangweilt. Was Sie da in Nürnberg bieten, das ist doch nur Schnee vom vergangenen Jahr. Ich kann ja verstehen, dass Sie, statt sich mit dem alten Ritter Gluck herumzuquälen, lieber Die Soldaten oder Woyzeck oder, wenn es denn sein muss, auch Tosca oder Il Trovatore inszeniert hätten. Da lässt sich halt so richtig zuschlagen.
Und dabei ist die Grundidee der Inszenierung, eine originelle Variante zum Paris und Helena Mythos vorschlagen zu wollen, gar nicht abwegig. Ja, warum soll man den Mythos nicht vom Ende her erzählen, warum soll man nicht bei einem Schauprozess – natürlich vor Fernsehkameras – aus den Aussagen des Paares die Geschichte der Entführung der Helena, die ‚Liebe als Passion‘, die das Paar nach und nach erfasst und dessen seelische Qualen rekonstruieren. Das ist doch eine durchaus stringente Konzeption. Dazu bedarf es als Zutaten gar keiner Gewaltexzesse. Wenn man allerdings glaubt, dass sich Liebe primär auf Hiebe reimt, dann kann man in der Tat mit den Liebesdiskursen des 18. Jahrhunderts und auch mit dem Helena Mythos wenig anfangen.
Auf dem Prorammzettel wird Theatermacher Hirn, der für „Inszenierung, Bühne, Videodesign“ verantwortlich zeichnet, als „Meisterschüler von Luc Bondy“ vorgestellt. Ob der Meister, der doch so virtuos Liebesdiskurse und das Spiel mit den seelischen Mechanismen in Szene zu setzen weiß, an seinem Schüler, der jetzt das Singen von der Liebe in eine Pulp-Fiction-Opera umgesetzt hat, seine Freude gehabt hätte? Ich habe da meine Zweifel. „Allein, was tut’s“. Das Publikum hat brav applaudiert. War halt wie RTL live mit Soundtrack aus ferner Vergangenheit und hat auch einschließlich Pause nur zwei Stunden gedauert.
Wir sahen die Aufführung am 26. Juli 2014. Die Premiere war am 24. Juli 2014.