In München gibt es eine Johann Simon Mayr Renaissance und dies in spektakulären Inszenierungen und auf hohem musikalischen Niveau. In der Staatsoper hatte vor knapp drei Jahren Hans Neuenfels Medea in Corinto mit Starsängern in den Hauptrollen erfolgreich in Szene gesetzt, und jetzt hat Tilman Knabe im Prinzregententheater mit jungen Künstlern der Theaterakademie und der Hochschule für Musik Adelasia einstudiert und damit einen nicht minder großen Erfolg verbucht. Beide Theatermacher, Neuenfels wie Knabe, sind für ihre Exzentrik bekannt oder, wenn man so will, berüchtigt. Beide lieben es, die alten Stücke neu zu erzählen, sie zu aktualisieren, sie extrem zu radikalisieren und nehmen es dabei wohl in Kauf mit der, so schien es mir, eher sanften Musik eines Mayr in Konflikt zu geraten. Beide lieben es, ihr Publikum mit exzessiver Gewalt auf der Szene zu erschrecken und zu provozieren. Doch bei der Medea und nicht minder bei der Adelasia verfügen die jeweiligen Libretti in der Handlung, in den Situationen, in der Personenkonstellation über ein so starkes Gewaltpotential, dass sich dessen Umsetzung auf der Szene geradezu von selber anbietet.
Neuenfels hatte den Medea Mythos ins europäische 19. Jahrhundert, in die Zeit der Kolonialkriege, transponiert, aus Medea eine rachsüchtige, leidenschaftliche und hysterische Zicke mit Migrationshintergrund gemacht und die schon dem Mythos inhärente Gewaltthematik noch durch Parallelhandlungen visualisiert und zugleich die Gewaltszenen als Pulp Fiction und Zitate aus Actionfilmen ironisch gebrochen – und dennoch Teile des Publikums zu Unmutsäußerungen provoziert. Tilman Knabe verzichtet in seiner Version der mittelalterlichen Erzählung von Adelasia, der Kaisertochter, die mit ihrem nicht standesgemäßen Geliebten vom Hofe flieht und vom erzürnten Vater im Laufe eines Kriegszuges wiederaufgespürt wird, auf alle Ironie. Hier wird die Gewalt in allen Formen, vom psychischen Druck bis hin zu Folter und Exekutionen, knallhart ausgespielt. Hinzu kommt, dass das Geschehen aus einer fernen Vergangenheit in die unmittelbare Gegenwart transponiert wird, in ein Bürgerkriegsambiente, in dem ein Gewaltherrscher gegen Zivilisten Krieg führt, ein Tyrann, der selber von Verrat umgeben ist und dem am Ende bei einer Revolte von Teilen des Militärs die eigenen Bodyguards die Kehle durchschneiden. Nichts von lieto fine. Der Krieg geht weiter, und der eben noch gefolterte Aleramo wird gleich in den Kampfanzug gesteckt. Dieses Bürgerkriegsspektakel, in dem der Herrscher zugleich ein Familientyrann ist, der von einer Versöhnung mit der Tochter nichts wissen will, bei dem der Schwiegersohn ständig sadistisch gequält wird, die Gattin des Tyrannen sich ihre Lust beim Chef der Leibwache holt, der engste Mitarbeiter mit dem Feind kollaboriert, die Zivilisten blutig geschlagen, scheinbare und wirkliche Verräter exekutiert werden, mit andern Worten: ein Stück, bei dem das Theaterblut literweise fließt und den Bühnenboden zum glitschigen Parcours werden lässt, dieses Spektakel wird wie ein Actionfilm spannend und mit Bravour in Szene gesetzt und von einem hoch motivierten Ensemble junger Sängerschauspieler in Musiktheater umgesetzt. Allesamt hoch begabte junge Künstler, die schon am Anfang ihrer Karriere als Sänger und Schauspieler zu brillieren wissen – und dies in einer Inszenierung, die sie mit ihren Gewaltexzessen gewaltig fordert.
Prima la messa in scena e poi la musica? Ich hatte Adelasia, die, so unterrichtet das Programmheft, an der Scala im Jahre 1806 uraufgeführt wurde und die in ihrer Zeit ein Hit war, noch nie gehört geschweige denn auf der Bühne gesehen. Schade, dass im Prinzregententheater die Szene so spektakulär war, dass sie die Musik so häufig auf den zweiten Platz verweisen konnte.
Wir sahen die Aufführung am 6. März 2013, die vierte Vorstellung nach der Premiere am 22. Februar 2013.