Im Vorfeld der diesjährigen Festspiele hat man in Karlsruhe eine weise und in sich konsequente Entscheidung getroffen. Wie einstens Händel bei der Londoner Uraufführung seines dramma per musica hat man auf die Zugkraft der Gesangsstars gesetzt, diese gleichsam um die Wette singen lassen und Regie und Bühnenbild zur quantité negligeable reduziert. So war denn in Karlsruhe nicht Musiktheater oder gar ‚Regietheater‘, sondern ein Fest der Stimmen und der Musik zu erleben. Ich weiß nicht, wie viele Arien an diesem langen Abend im Alessandro gesungen wurden, ich habe sie nicht gezählt. Doch es dürften unter den 73 Nummern, die das Programmheft für die Oper nennt, wohl mehr als fünfundzwanzig gewesen sein, die da allesamt ohne eine Spur von Ermüdung brillant vorgetragen wurden. Ich sage mit Absicht ‚vorgetragen‘, denn als Schauspieler wurden die Sänger praktisch nie gefordert. Auch die Bühnenmaschinerie, abgesehen von ein paar Videoeinspielungen, übte sich in Zurückhaltung. Im Zentrum des Interesses standen einzig Musik und Gesang. Und ein verständiges Publikum feierte zu Recht alle Mitwirkenden, allen voran die drei Stars: Lawrence Zazzo als Alessandro und die beiden Damen Yetzabel Arias Fernandez und Raffaella Milanesi als Rossane bzw. Lisaura, die um die Liebesgunst des Herrschers und um den Publikumspreis konkurrierten – wie einstens ihre Vorgängerinnen als Primadonna und Seconda Donna im Kings Theatre London im Jahre 1726.
Ein herausragender, ein ungewöhnlich bezaubernder Händelabend im Badischen Staatstheater. Wir sahen die Premiere am 17. Februar 2012.