Offenbachiade – ohne Klamauk. Emmanuel Chabrier, L’Étoile an der Staatsoper im Schillertheater

Wann hat man schon Gelegenheit, zwei Stars der Musikszene in einer ganz normalen sonntäglichen Repertoireaufführung zu erleben. Und noch dazu nicht bei Wagner oder Strauss, sondern in einer opéra bouffe aus der Belle Époque: Simon Rattle  als Dirigent der Staatskapelle Berlin  und Magdalena  Kozena in der Rolle des androgynen Straßenhändlers Lazuli, der statt vom König ins Jenseits befördert zu werden, die Prinzessin kriegt.

Anfang November hatten wir in Frankfurt in einer David Alden Produktion Chabriers Opéra bouffe zum ersten Mal gehört und gesehen und waren von Musik und Inszenierung recht angetan: einer Inszenierung, die den Irrsinn und den schwarzen Humor, die die Handlung bestimmen, recht kräftig herausstellt und einer Musik, die mit scheinbarer Leichtigkeit daher kommt  und die großen Meister des 19. Jahrhundert  zitiert und parodiert. Wir wollen die Frankfurter Aufführung nicht herabsetzten.  Sie zu sehen, lohnt alle Male. Doch was in der Staatsoper im Schillertheater geboten wurde, das war, so scheint es zumindest der Dilettantin, doch noch eine Klasse besser. Nicht nur dass die Musik mit ihren Verweisen auf Offenbach, Wagner, Verdi und wohl noch auf viele anderer weit subtiler klang, ohne dass dabei Ironie  und Parodie zu kurz kamen. Auch die Regie ist subtiler als in Frankfurt. Anders als David Alden hat Dale Duesing von allem aufgesetzten Klamauk abgesehen – doch leider auch den schwarzen Humor und die Groteske, wesentliche Bestandteile des Librettos, sehr zurückgedrängt. Dafür mangelt es nicht – ganz in der Tradition der Offenbachiade, die  im Personal und in den Aktionen der opéra bouffe die Mächtigen des französischen zweiten Kaiserreichs zu verspotten pflegte – an politischen Anspielungen.  Wer denn wollte, der konnte in dem eher kleinwüchsigen, machtbewussten König Ouf, der sich zu offiziellen Anlässen zwei Treppenstufen höher als seine groß gewachsene Begleiterin stellen muss, eine Sarkozy Parodie sehen – keine bösartige, sondern eine leicht schmunzelnde Parodie. Und wenn sich der König zum scheinbaren Sterben in die Staatsrobe Ludwigs XIV hüllt( die erst entstaubt werden muss), dann ist die Anspielung auf französische Herrschergestalten überdeutlich. Auch die Chargen der französischen Politik kommen nicht ungeschoren davon: der dem König (dem Präsidenten) allen Unsinn einflüsternde beflissene, ängstliche Berater, der Botschafter, dem die Ehefrau in gemeinsamer Lust mit  dessen Sekretär Hörner aufsetzen (im Outfit erinnert er ein wenig an einen  kürzlich gefallenen Hoffnungsträger der Sozialisten). Doch alle diese Anspielungen, all dieser Spott sind nie hämisch oder gar bösartig. Ganz im Sinne der Offenbachiade sind sie alle nur ‚Karnevalisierungen‘, freundliche Parodien und milde Satiren der allzu menschlichen Schwächen und Ängste der Mächtigen. Und wenn der arme Straßenhändler die Prinzessin kriegt und Kronprinz wird, dann sind wir noch dazu halt im Operettenmärchen à la française.

Ein schöner, ein amüsanter – ein harmloser Abend in der Berliner Staatsoper. Wir sahen die Aufführung am 4. Dezember 2011, die 6. Vorstellung seit der Premiere am 16. Mai 2010.