Von Träumen und Utopien und vom Belcanto. Christof Loy inszeniert La Donna del Lago am Grand Théâtre in Genf

Von Träumen und Utopien und vom Belcanto. Und alles ist doch nur ein Spiel. Christof Loy inszeniert  La Donna del Lago am Grand Théâtre in Genf

In den Opernhäusern Italiens wird angeblich gerade der Schwanengesang auf die Oper angestimmt. Und wenn man den düsteren Nachrichten von der italienischen Opernszene glaubt, wie sie in diesen Tagen in der Presse zu lesen sind, dann macht eine Regierung  von ach so schrecklichen  Banausen der ach so ehrwürdigen Gattung Oper und ihren ach so sehr bemühten Interpreten  gerade den Garaus. Doch was kümmert den Opernfan schon  die heutige (durchweg dürftige) italienische Opernszene. Er tut gut daran, sich an die mehr nördlich gelegenen Musiktheater zu halten. Im Grand Théâtre in  Genf, der Stadt der (einstens) so lustfeindlichen Kalvinisten, ist von einer Krise der Oper nicht die Rede. Dort hat man die Lust am Musiktheater nicht verloren. Hier fehlt es nicht am Geld, um internationale Stars der Opernszene zu engagieren. Hier genießt ein begeistertes Publikum Rossinis Belcanto Opera, feiert eine mehr als brillante Joyce Didonato als Primadonna und freut sich an einer theaterseligen, behutsam das Geschehen ironisierenden Inszenierung. Sich für den Melodienreichtum zu begeistern, der La Donna del Lago auszeichnet, das fällt in der Tat nicht schwer. Bei all diesem Raffinement weiß die Dilettantin  manchmal nicht mehr, ob sie nun bei Rossini, Bellini oder Donizetti ist. Aber das ist fürs Zuhören auch nicht so wichtig. Ich habe La Donna del Lago  zum ersten Mal gehört, und ich bin begeistert, und  mit meiner Begeisterung bin ich nicht in schlechter Gesellschaft. Dass Stendhal ein großer Rossini Verehrer war, ist ein Gemeinplatz der Operngeschichte. Dass aber auch dem so sehr in den ‚Weltschmerz’ verliebten Leopardi  die Musik der Donna del Lago gefiel, das war mir neu: „[ la musique[…] est une chose magnifique; j’aurais pu moi-même pleurer, si le don des larmes ne m’avait pas été temporairement enlevé…]“ (vgl. Programmheft. S. 46). Warum Rossinis Musik schon die Zeitgenossen so fasziniert hat, das wissen die Musikhistoriker zu sagen. Als Dilettantin kann ich mich mit dem ästhetischen Vergnügen – begnügen. Vielleicht nur eine Bemerkung: ich kam in Genf ein paar Minuten zu spät, wurde von umsichtigen freundlichen Schließern  noch schnell in eine  Loge gedrängt und hörte als erstes die Auftrittsarie der Elena, der donna del lago: „O mattutini albori…“, und sofort begriff ich, was Belcanto in höchster Vollendung sein kann:  „una musica celeste“. Doch lassen wir die Musik und sprechen wir noch ein wenig von der Inszenierung. Auch in Genf sind Loys Markenzeichen, sein persönlicher Stil, sofort zu erkennen. Formelhaft gesagt: Minimalismus, Metatheater, behutsame Aktualisierung, perfekte Personenregie. Wer das Libretto nur flüchtig kennt, der hat zumindest am Anfang gewisse Schwierigkeiten, dem Handlungsverlauf zu folgen und glaubt sich – und wie sich herausstellt zu Recht – in einer Melange aus Lucia, Cenerentola und Theaterprobe in einem protestantischen Gemeindesaal mit kleiner Bühne für die Laienspielschar. Die Laienspielgruppe der Gemeinde  probt offensichtlich mit ihren bescheidenen szenischen Mitteln Walter Scotts Donna del Lago. Doch Elena, in ihrem bräunlichen Mäntelchen, mit ihrer grauen Perücke und dem braunen Käppchen, offensichtlich das Aschenbrödel der Gemeinde, steht abseits, bleibt allein zurück, steigt auf die Bühne und erschafft sich in ihrer Imagination ihre Welt, eine Welt, die  sich aus Klischees der romantischen Literatur zusammensetzt: den schönen Jüngling, der sich in den Wäldern verirrt hat, den sie als eine neue Undine oder Rusalka über den See rudert und dem sie im Haus ihres Vaters Zuflucht gewährt, den herrschsüchtigen Vater, der die Tochter an einen ungeliebten Clanchef verheiraten will, das alter Ego (die lesbische Freundin?, den Schutzengel ?), das ihr in der Not beisteht, den schönen Jüngling, der als Prinz im Schwanensee wiederkehrt, leidenschaftlich um sie wirbt und den Rivalen erledigt. Und im Finale, da gehen Elenas Traumwelt und die Theaterwelt der Spielschar ineinander über: das Aschenbrödel kriegt den Prinzen, die vermeintliche Außenseiterin spielt die Hauptrolle und kriegt den  Hauptdarsteller. Alles ist nur ein Spiel, ein Spiel der Illusionen und der Träume, alles ist nur eine schöne Utopie, eine Theaterwelt fern aller realen Welt. Eine scheinbar einfache und doch zugleich eine brillante und überzeugende und noch dazu eine unterhaltsame Inszenierung. In den Musiktheatern, so liest man im Programmheft, wird La Donna del Lago nur sehr selten in Szene gesetzt. Wie seltsam. Wie schade. In Genf ist sie am 14. und am 17. Mai noch zu sehen. Wir sahen die Vorstellung am 7. Mai. Die Premiere war am 5. Mai.

Nachtrag vom 18. August 2012

Das Theater an der Wien hat die Loy-Inszenierung der Donna del Lago aus Genf übernommen. Auch in Wien waren wir begeistert. Ein glanzvoller Belcanto Abend. Eine anspruchsvolle Inszenierung. Leider sang in Wien nicht Joyce Didonato. Und leider glaubten nach dem ersten Akt einige Zuschauer die Inszenierung (oder meinten sie die Sänger?) ausbuhen zu müssen. Eine peinliche Reaktion.