In Essen ist eine richtig schöne romantische Lucia zu sehen mit einer Sängerin in der Titelrolle (Petya Ivanova), die mit ihrer so ‚glockenklaren’, so einfühlsamen Stimme, sagen wir besser: mit ihrem Belcanto die Zuhörer entrückt und die in Erscheinung und Auftreten geradezu eine Lucia wie aus dem Traumbuch der Romantiker ist. Auch der so fordernde und zugleich so verzweifelte Liebhaber und der böse Bube von Bruder können in Gesang und Spiel durchaus mithalten. Und das düstere Bühnenbild mit seinen Ruinen von Burgen und Kirchen bedient nicht minder die romantischen Klischees, wie man sie von Caspar und David Friedrich und William Turner kennt. Romantik pur in Essen. Wir haben die Lucia unlängst als billige Aktualisierung in Frankfurt gesehen – und uns mehr als geärgert.
Wir haben die Lucia vor ein paar Jahren in Nürnberg als Exponat aus dem Naturkundemuseum gesehen – und uns über die versuchte (und gescheiterte) Distanzierung von der romantischen Liebe amüsiert. So konsequent romantisch und so schön wie hier in Essen habe ich die Lucia Lammermoor wohl noch nicht gesehen (für Inszenierung und Ausstattung zeichnet Ezio Toffolutti verantwortlich). Die historisierenden Produktionen mag ich eigentlich nicht. Zu leicht geraten sie ins nur Museale, halten den Zuschauer auf Distanz und erwecken keine Emotionen. In Essen hat gerade das konsequent romantische Konzept, haben Musik und Belcanto auf hohen Niveau und die ’Liebe als Passion’ eine beeindruckende Donizetti Aufführung beschert, einen Opernabend, der wohl auch Madame Bovary gerührt hätte (natürlich zitiert das Programmheft das einschlägige Flaubert Kapitel) und der ihre sentimental-unglücklichen Nachfolgerinnen aus Ruhrgebiet und Münsterland nicht ungerührt gelassen hat. Und wie immer haben der arme Trottel Charles Bovary und seine Nachfolger nichts kapiert.
Die Premiere war am 4. März 2006. Wir sahen die Vorstellung vom 29. März 2009.