Was macht man aus einer Parodie der Parodie, einer Parodie des Rasenden Rolands, die ihrerseits schon eine Parodie auf die alten Ritterromane ist? Filmemacher Ranisch hat für dieses Problem eine geistvolle, witzige und noch dazu höchst unterhaltsame Lösung gefunden: aus einer Melange aus opera seria und Buffa macht er einen Herz/Schmerz Kinofilm, in dem die Personen der Oper zugleich Figuren des Films sind und sich darüber hinaus in der ‚realen‘ Welt eines Kinosaals bewegen. Nicht genug damit. Der Besitzer des kleinen Kinos, der zugleich als Filmvorführer fungiert – eine stumme Rolle – mischt sich in das Geschehen ein, spielt mit, erfüllt sich seine Sehnsüchte, darf seinen Lieblingsschauspieler für sich gewinnen und mit diesem zusammen seinen homophilen Neigungen nachgeben. Seine Freundin Gaby, das Mädchen für alles im Kino, darf endlich den Hausmeister für sich haben.
Sehnsüchte und Träume werden ‚Wirklichkeit‘ – auf allen Ebene. Die kleine Süßigkeitenverkäuferin wird zur rothaarigen Zauberin Alcina, die im Film und in der Oper das Geschehen dirigiert. Der Hungerleider Pasquale wird zum ‚tapferen Rittersmann‘ und, was mehr seinen Sehnsüchten entspricht, zum virtuosen Sänger, der als Zugabe das Töchterchen des Hausmeisters zur Frau bekommt. La bella Angelica und ihr schmachtender Schönling Medoro, deren Liebesgeschichte die Filmreklame ankündigt, werden ‚wirkliche‘ Figuren, treten aus dem Stummfilm heraus in die ‚Wirklichkeit‘ des Kinosaals, werden auch dort vom eifersüchtigen Orlando verfolgt, der in seiner Raserei den Saal zu Kleinholz macht. Sie alle sind zugleich Filmstars und Opernfiguren. Im Finale werden sie als Zuschauer das melodramatische Ende des Film-Liebespaares erleben – Medoro wird von Wilden erschlagen und Angelica ersticht sich – und in der ‚Wirklichkeit‘ des Kinosaals erlebt das scheinbar unglückliche Paar als Opernfiguren sein lieto fine. Ihr lieto fine erleben auch die beiden Rivalen Orlando und Rodomonte. Rodomonte, der sich zu seinen homophilen Neigungen bekennt und darüber Angelica vergisst. Orlando, der nach einem Schluck Lethe seinen Wahn vergisst.
Ein großes Verwirrspiel, ein unterhaltsames Spiel der Illusionen bietet Filmemacher Ranisch seinem Publikum. Und wer sich im Publikum bei den grotesken Rittern an die Monty Python Komödien, an Die Ritter der Kokosnuss erinnert und wer die Bezüge zu Woody Allens Film The purple rose of Cairo und dessen Spiel mit der Scheinwelt des Kinos und der scheinbaren Wirklichkeit noch präsent hat, der hat noch einen größeren Spaß am Verwirrspiel im Prinzregententheater.
Und dann gibt’s ja noch in der Film- und Opernwelt den Soundtrack. Und der ist in der Tat exquisit. Unter der Leitung von Maestro Ivor Bolton musiziert das Münchner Kammerorchester, und es singen allesamt herausragende Solisten: Adela Zaharia, ein Belcanto Star, ist in der Rolle der Angelica von Stimme und Bühnen- und Filmerscheinung her geradezu eine Idealbesetzung. Medoro in der Person des Dovlet Nurgeldiyev ist von Stimme und Outfit her ein Valentino/Ottavio aus dem Bilderbuch. Und dann die beiden Ritter der Kokosnuss: der Macho und Miles gloriosus Rodomonte in der Person des Edwin Crossley-Mercer und der rasende Roland in der Person des Mathias Vidal. Beide sind als Sänger und Schauspieler einfach grandios
Und nicht zu vergessen: Heiko Pinkowski in der stummen Rolle als Filmvorführer Heiko, der zu viele Filme gesehen hat und davon einen ‚Lektüreschaden‘ davon getragen hat. Ein Don Quijote der Filme, dem Film und ‚Wirklichkeit‘ durcheinander geraten sind, der sich aus Filmen sein eigene Welt schafft.
Ein in Musik und Szene „großartiger Opernabend“. Wir sahen die Aufführung am 25. Juni, die zweite Vorstellung nach der Premiere am 23. Juni 2018.