Ein glücklicher Zufall war es, der uns erlaubte, im Abstand von nur wenigen Tagen Tristan und Isolde gleich an zwei renommierten Musiktheatern zu hören und zu sehen, am Samstag in de Nationale Opera Amsterdam und am Donnerstag darauf an der Staatsoper in Berlin. Beide Male mit einem hochkarätigen Ensemble, beide Male mit hochberühmten Dirigenten, beide Male mit Orchestern der Spitzenklasse und beide Male in Inszenierungen, für die hoch geschätzte Theatermacher verantwortlich zeichnen.
Kein Zweifel. Ein Wagner Festival der Extraklasse. Wem gebührt bei diesem imaginären Wettspiel zwischen zwei großen Opernhäusern der Lorbeerkranz? Amsterdam oder Berlin? Ich weiß es nicht. Zu unterschiedlich sind die Aufführungen.
In Berlin, so schien es mir, setzt Daniel Barenboim mehr auf ein Versinken und Ertrinken in der Musik, auf einen unendlichen Klangteppich, auf ein Auskosten aller Nuancen, auf ein Zelebrieren, vielleicht auch auf die Wagner „Hypnose“, der sich der Zuhörer nur schwer entziehen kann. In Amsterdam – so schien es dem Laien, der sich als ‚Wagnerianer‘ versteht und der doch nicht in der Lage ist, das, was er hört zu analysieren, geschweige denn auf Begriffe zu bringen – in Amsterdam ging es unter der Leitung von Marc Albrecht ‚intellektueller ‘zu. Dort verzichtet man auf alles Rauschhafte, setzt mehr auf die Leitthemen Tod, Trauer und Verzweiflung und macht den dritten Aufzug zum Höhepunkt des Abends.
Es liegt mir gänzlich fern, beide Aufführungen gegen einander auszuspielen. Beide haben mich fasziniert und beeindruckt. Dies nicht zuletzt, weil in beiden Häusern Stars des Wagnergesangs auf der Bühne sangen und agierten: Stephen Gould und Ricarda Merbeth als ‚hohes Paar‘ in Amsterdam, Andreas Schager und Anja Kampe in gleicher Funktion in Berlin, Ekaterina Gubanova und Stephen Milling als Brangäne und Marke in Berlin, Michelle Breedt und Günther Groissböck in den gleichen Rollen in Amsterdam. Ein Fest der Stimmen und ein Hochgenuss für die Wagner Melomanen.
Präferenzen habe ich keine. Nur bei den Inszenierungen – bei den beiden sehr unterschiedlichen Inszenierungen da habe ich meine Präferenzen. Hier sagt mir die zeitlose Inszenierung, wie sie in Amsterdam Pierre Audi vorschlägt, die mit literarischen Referenzen und Verweisungen auf frühere Inszenierungen arbeitet, mehr zu als die Berliner Szene (vgl. unsere Bemerkungen zum Amsterdamer Tristan). In Berlin setzt Dmitri Tcherniakov auf den ‚Realismus‘ des 19. Jahrhunderts. Und im dritten Aufzug gefällt er sich im sozialistischen Kleinbürgerrealismus. Dass der erste Aufzug in der ‚besseren Gesellschaft‘, konkret in der Bar eines Kreuzfahrtschiffes spielt, das ist eine Klischee, das schon so mancher Theatermacher bemüht hat. Auch dass Marke und seine Gesellschaft dem Großbürgertum angehören und ein Fest im Salon eines herrschaftlichen Hauses veranstalten, auch das ist nicht sonderlich originell. Originell ist allenfalls, dass Tristan ein verarmter Kleinbürger ist – so signalisiert es zumindest sein renovierungsbedürftiges Wohnzimmer, in dem er sich seinen Wahnvorstellungen hingibt.
Zwei Szenen sprengen indes den konventionellen Rahmen, in den Tcherniakov seine Tristan und Isolde Variante gestellt hat. Im berühmten Liebesduett im zweiten Aufzug da treten Tristan und Isolde aus ihren Rollen heraus, inszenieren sich mit gewollt theatralischen Gesten als Schauspieler – als schlechte Schauspieler –, denen vorgegeben ist, den Tristan und Isolde Mythos nachzuspielen. Mit diesem ‚Theater auf dem Theater‘ Gag nimmt die Regie der berühmten Szene und den hypnotisierenden Klängen jegliches Pathos, bremst den gefährlichen Kitsch, zerstört die Illusion, bietet, wenn man so will, eine implizite Tristan und Isolde Parodie. Und zugleich signalisiert sie in guter alter Brecht Manier den Zuschauern, dass alles, was sie sehen und hören, doch nur Theater ist, dass die leidenschaftliche Liebe und die Todessehnsucht nur ein Spiel sind – mag die Musik auch das Gegenteil suggerieren.
Die zweite Pointe setzt die Regie im dritten Aufzug. In seinem Fieberwahn sieht Tristan nicht etwa Isolde, wie wir das als Zuschauer erwarten. Er sieht seine schwangere Mutter und deren spießigen Ehemann. Leidet unser Tristan vielleicht an einem Mutterkomplex, sucht er in Isolde vielleicht die ihm unbekannte Mutter? Warum nicht. Der Mythos hält viel aus. Seine Varianten sind bekanntlich unendlich.
.„Allein was tut’s“. Ich habe in Amsterdam und Berlin einen Tristan gehört, wie man ihn sich kaum schöner und ergreifender vorstellen kann. Zwei ungewöhnlich gelungene, zwei herausragende Opernabende.
Wir besuchten die Aufführung in der Staatsoper unter den Linden am 15. Februar 2018, die 2.Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war 11. Februar 2018.