„Narcisetto, Adoncino d’amor“ als Objekt der Begierde. Antonio Cesti, L’Orontea an der Oper Frankfurt

Nein, ein Schönling ist er nicht, der angebliche Maler Alidoro in Jeans (wahlweise Unterhose), weißem Schlabberhemd und langer Mähne, den sich gleich drei Frauen und zwei Männer ausgeguckt  haben. Genauer: dem sie an die Wäsche gehen. Von der angeblich so spröden Königin über die nymphomanische Hofdame bis hin zum versoffenen Butler, sie alle wollen sich mit ihm auf recht handfeste Weise vergnügen. Dabei ist unser  Adonis doch vor allem an sich selbst interessiert. Was ihn allerdings nicht daran hindert, alles, was sich ihm da so leichthin  anbietet, gerne mitzunehmen: Krone und Zepter der Königin, den Sex der Hofdame, den Hintern des Butlers, den Kuss des schmucken Höflings. Ja, wir wissen schon: „Omnia vincit amor et nos cedamos amori“. Und die Innsbrucker Hofgesellschaft, für die Cesti zum Karneval des Jahres 1656 diesen Liebesreigen komponierte, wusste es erst recht – von Vergil. Und wer es immer noch nicht weiß, für den hält die Regie in Frankfurt gleich ein Dutzend geflügelter Eroten bereit, die, allesamt blond gelockt und mit Kußmündchen (mit einem Wort: in der Marylin Maske), sich unter die Akteure mischen.

So macht denn Theatermacher Walter Sutcliffe aus  einer nur scheinbar alten Komödie mit Musik zum Gaudi  des Publikums eine höchst unterhaltsame Karnevalsoperette, hastet dabei von Gag zu Gag, verspottet‚ ‚karnevalisiert‘ die Militärs, die Säufer, die Schwulen, die Transvestiten, die Nymphomaninnen , die sexhungrigen Alten beiderlei Geschlechts, die spröden Schönen. Die Militärs, die im Nato Nahkampfanzug oder auch nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet in die Szene einbrechen, den schwulen englischen Butler, der ohne seine Whisky Flasche nicht überleben kann, den Höfling im Rokokokostüm, der sich als Bisexueller outet, die spröde Schöne, die sich im Unterkleid und mit Strapsen dem Maler präsentiert und entsetzt und eifersüchtig sehen muss, dass die Nymphomanin, die das gleiche Kostüm gewählt hat, sich schon mit dem Maler vergnügt und dass auch schon der Butler bei Adonis Zugang gefunden hat.

All dies und noch Vieles mehr wird mit viel Sinn für Komik und Groteske mit Bravour in Szene gesetzt. Manchmal indes – doch das stört nicht weiter – kommt die Regie der Klamotte gefährlich nahe. Die sexhungrige Alte im engen Glitzerkleid (von einem Mann gespielt) will partout den kleinen Soldaten (von einer Frau gespielt) verführen. Eine Szene, die im doppeldeutigen Dialog und im Spiel der Akteure das Gender Switching  auf die komisch-groteske Spitze treibt – und dabei die Klamotte streift.

Und die Musik, hält sie das alles aus? Ich hatte manchmal den Eindruck, dass sie für so eine wilde Komödie, wie sie die Regie in Szene setzt, nicht unbedingt geeignet ist – und dies trotz der schönen Arien („Intorno all’idol mio“) und Duette, trotz des groß besetzten Orchesters, trotz Ivor Bolton, der  schon vor Jahren in München mit Cavallis La Calisto in der Inszenierung von David Alden eine ähnlich wilde ‚Komödie für Musik‘ verantwortet hatte.  Auch damals und jetzt wieder schien es mir, dass die Musik aus der Frühzeit der Oper, mag sie auch noch so gefällig sein, mag auch noch so brillant gesungen und musiziert werden, in den großen Häusern wohl zu ‚dünn‘ klingt.

Doch wir wollen nicht herumkritteln. Cestis L’Orontea  ist allemal eine Ausgrabung wert. Und wenn dann noch dazu wie jetzt in Frankfurt so herausragend gesungen und gespielt, musiziert und inszeniert wird, dann erlebt man eine ungewöhnlich gelungene und zugleich vergnügliche Aufführung.

Wir sahen die Aufführung am 22. Februar 2015, die 6. Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 1. Februar 2015.