Die gescheiterte Integration oder blutige Geschichten aus den Südstaaten. Tobias Kratzer inszeniert La Forza del Destino an der Oper Frankfurt

Die Macht des Schicksals ist ein spanisches Stück aus romantischer Zeit, ein drama de honor, in dem es um Rache für den vermeintlichen Mord am Vater und die vermeintliche Verführung der Tochter geht. Der angebliche Mörder und Verführer ist ein Mestize, der nicht in die Familie eines spanischen Granden einheiraten darf. Er ist eben kein Spanier de ‚pura sangre‘. Da hilft auch nichts, dass dieser Mestize Sohn einer Inka Prinzessin und eines spanischen Adligen ist. Es fehlt ihm halt Entscheidendes. Die „Ehre“ gebietet es, dass der Sohn den  Tod des Vaters rächen und die Schwester und den Verführer töten muss. Und am Ende sind sie denn auch alle tot. Álvaro der edle Mestize, Carlo der rachsüchtige Bruder, Leonora die leidenschaftliche Schwester.

Ein schwer zu vermittelndes Stück. Schon der Titel führt in die Irre. Welches Schicksal ist denn da so übermächtig, das es alle Beteiligten in den Tod treibt. Tobias Kratzer schlägt eine originelle, wenn auch einseitige Lösung vor, entwickelt eine Grundkonzeption, die er überzeugend umsetzt. Das Schicksal ist hier die Rassendifferenz und das Unvermögen, diese vermeintliche Differenz zu überwinden. Mit anderen Worten: Kratzer entdeckt in dem scheinbar so antiquierten spanischen Drama ein ganz modernes Thema und verlegt zur Verdeutlichung des Geschehens die Handlung in die Südstaaten der USA und illustriert es an der –  nicht dort – seit mehr als einhundert Jahren ungelösten Rassenproblematik. So wird aus der privaten Geschichte von Álvaro, Carlo und Leonora ein Bilderbuch der amerikanischen Geschichte von Lincoln bis hin zu Obama. Álvaro ist für die Regie ein Farbiger, der, mag er auch eine Ausnahmeerscheinung sein, von Anfang an keine Chance hat, sich mit einer Weißen zu verbinden. Vor diesem Hintergrund ist Álvaro ein Opfer des Schicksals: konkret ein Opfer der Rassenpolitik der Weißen.

Eine durchaus einsichtige Grundkonzeption, die in grandiosen Bildern, die Filmsequenzen gleichen, in Szene gesetzt wird. Nur geht die so intelligent gewählte Grundkonzeption nicht immer auf. Das Anders-Sein des Álvaro oder allgemein gesagt: die Rassenproblematik ist im Verhältnis zum dominierenden Ehre/Rache Thema eben doch nur ein Sekundärthema.

Im ersten Bild sind wir noch in der Welt von Onkel Toms Hütte oder besser gesagt: In einem Vom Winde verweht Ambiente. Der reiche und mächtige Südstaatler will den vermeintlichen Verführer seiner Tochter mit der Sklavenpeitsche aus dem Hause treiben und kommt beim Handgemenge zu Tode.

Im zweiten Bild amüsiert sich eine mit grotesken Masken verkleidete Soldateska  aus den Südstaaten mit Schießübungen auf eine Lincoln Attrappe, und ein ebenfalls maskierter Carlo erzählt leicht verschlüsselt seine Geschichte.

Die dritte Szene, die Klosterszene, verfällt nicht minder in die Groteske, doch in  eine Groteske, in der nicht die Komik, sondern das Hässliche und das Grausame dominieren. Die angeblich so frommen Männer, bei denen Leonora Schutz sucht, erweisen sich Ku Klux Klan Männer, vor denen Leonora entsetzt und in Panik flieht.

Im nächsten Bild sind wir nach einem Zeitsprung von einhundert Jahren im Vietnam Krieg, in dem Carlo und Álvaro, die sich nicht erkennen, Freundschaft schließen. Erst als Carlo die wahre Identität Álvaros erkennt, bricht nicht etwa der Rassenhass aus, wie es nach der Grundkonzeption der Regie eigentlich zu erwarten wäre, sondern das klassische Motiv der Rache aus verletzter Ehre wird  handlungsbestimmend. Mit anderen Worten: der Konzeption von der Rassenproblematik steht das Bühnengeschehen entgegen. Und das gleiche gilt für die Schlussszenen, die in der Obama Zeit spielen. Wieder ist  das Thema der Rache aus verletzter Ehre handlungsbestimmend. In diesem Kontext wirkt die Pointe im Finale geradezu aufgesetzt und wirkt wie das Zitat eines Klischees. Der Farbige hat den Weißen in ihm aufgezwungenen Duell tödlich verwundet und wird von der weißen Polizei umgelegt – ein Mord, der als Selbstmord vertuscht wird. Nicht genug damit. Die Mörder sind die als Polizisten maskierten Ku Klux Klan Männer. Und nicht zu vergessen: die Schlussszene ist wie schon die Anfangsszene eine Doppelszene: sie ereignet sich zugleich als Filmsequenz. Ein Gag, den man Überdetermination des Geschehens nennen könnte.

Wie dem auch sei. Der Frankfurter Oper ist mit La Forza del Destino wieder ein großer Opernabend gelungen. Und dies gilt nicht nur für Kratzers so faszinierende  Inszenierung. Es wird so eingängig, sagen wir einfach: so wunderschön musiziert, dass man wieder Lust hat, Verdi zu hören, auch wenn man nicht unbedingt ein Verdi Fan ist. Auf der Bühne singt und agiert in der Person von Christopher Maltman ein Carlo, der als Bühnenerscheinung und als Sänger geradezu eine Idealbesetzung ist: leidenschaftlich und eiskalt zugleich. Tenor und Sopranisten hatten es gegenüber diesem so grandiosen Bariton nicht leicht. Ich sage grundsätzlich nichts Negatives über Sänger. Nur eine vorsichtige Bemerkung sei mir gestattet: ich hatte den Eindruck, dass die Rolle der Leonora nicht optimal besetzt war.

Wir besuchten die Aufführung am 17. Februar 2019, die 7. Vorstellung in dieser Inszenierung.  Die Premiere war am 27. Januar 2019.