Klein Bayreuth in Tirol. Der Ring des Nibelungen bei den Tiroler Festspielen Erl

Auch in Erl steht das Festspielhaus  auf einem grünen Hügel. Auch in Erl gibt’s Würstchen und Bier in der  Pause. Auch in Erl erzählen die Luxusrentner einander von den  vielen Ringen, die sie schon gesehen haben („In Bayreuth haben wir schon drei Ringe gesehen“). Auch in Erl regiert ein Alleinherrscher. Doch anders als die Katharina von Bayreuth  braucht sich Gustav Kuhn nicht die Herrschaft mit einem Musikdirektor zu teilen. Er ist Musikdirektor und Regisseur  in einer Person, ihm obliegt die Gesamtleitung, er bringt seine eigenen Sängerinnen und Sänger mit, die Künstler der von ihm begründeten und geleiteten Accademia di Montegral. Und die sind, wenn auch nicht alle, exzellent. Um nur drei Beispiele zu nennen: eine so bravouröse, so jugendlich strahlende Brünnhilde in der Person der Mona Somm, einen als Sänger und Darsteller so dominierenden Loge, wie ihn Johannes  Chum gibt, eine so innig und ausdrucksvoll singende und spielende Sieglinde wie die der Marianna Szivkova haben wir schon lange nicht mehr gehört.

Mit anderen Worten: Erl ist ein Gustav Kuhn Festival auf relativ hohen Standard. An vier Abenden hintereinander  führen Maestro Kuhn und sein Ensemble den Ring auf, auf einer vorhanglosen großen Bühne und ohne Orchestergraben. Das Orchester, ein stets sichtbares Orchester, ist im Bühnenhintergrund auf einer leicht ansteigenden Empore platziert und ist von der Spielfläche nur durch einen Gazevorhang getrennt. Ein Effekt, der dem Publikum stets eine doppelte Perspektive erlaubt. Es sieht und hört das Spiel auf der Szene. Es hört und sieht gleichsam die Musik.

Die Regie betreibt kaum Aufwand, setzt auf ein eher kammerspielartiges Ambiente, meint aber, auf ein paar  eigentlich überflüssige Gags nicht verzichten zu können. Siegmund steht schon als sein eigenes Denkmal auf einem Grabstein, als Hunding (von Beruf wohl ein Polizist der schnellen Eingreiftruppe) ihn mit dem  Revolver erschießt, Alberich schwebt vom Schnürboden herab, als er Hagen im Traum erscheint und ihm den Speer reicht. Im Finale der Götterdämmerung gibt es auch ein bisschen Feuerzauber. Ein Handvoll Statisten tragen Becken mit lodernden Flammen auf die Rampe. Das sieht ziemlich gefährlich aus, zumal die Kinderlein der neuen Generation gleich daneben hocken, und die Rheintöchter mit ihren Gaze Schleiern herum fuchteln. Nun ja, Gag muss sein, zumal die Freiwillige Feuerwehr über das Spektakel wachte.

Zu Inszenierung, Regie und Ausstattung, auch zur Regiekonzeption, wenn es denn eine gab, ist eigentlich nichts zu sagen. Im Rheingold erzählt die Regie uns wohl die Geschichte vom Tiroler Großbauunternehmer, der seinen Konkurrenten (Alberich) erledigt und den  Eishockeyclub (die Riesen) nicht mehr sponsern will. In der Walküre sieht sich der scheinbar so mächtige Mann, der wohl gerade von der Großwildjagd heimkommt, mit einer zänkischen Ehefrau und einer aufmüpfigen Tochter konfrontiert, die beide, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, seine Pläne stören wollen. Und in der Götterdämmerung da ist der Tölpel Siegried wohl unter die Gangster geraten – mit letalen Folgen für sich und viele andere.

Für Maestro Kuhn ist Wagners Musiktheater ein Theater der Musik. Offensichtlich steht für ihn  die Musik absolut im Zentrum. Das Spiel auf der Szene, so unterhaltsam es manchmal auch für das Publikum sein mag,  ist für ihn wohl eine quantité négligeable. Die Musik, die der Maestro mit dem Orchester der Tiroler Festspiele zelebriert, ist eine Wagner-Musik der besonderen Art. Kein Gedröhne, kein Aufdrehen, eher ein Verliebt-Sein in die Details, eine sanfte, vielleicht sogar eine süßliche Wagnerdroge. Es soll nicht abwertend sein: Doch das klang manchmal wie Kitsch auf hohem Niveau, ein Kitsch indes,  der fasziniert und bezaubert.

Wir sahen aus dem Zyklus vom 23. bis zum 27. Juli 2012 Das Rheingold, Die Walküre und Götterdämmerung