Nach dem so recht mühsamen Beginn mit Händels Almira feiern die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit Domenico Scarlattis Dramma per musica vom Jahre 1720 ein rauschendes Finale. Ein brillantes Ensemble mit Maite Beaumont in der Titelrolle, temperamentvoll aufspielende Musiker (Fabio Biondi und sein Orchester Europa Galante), eine spektakuläre und witzige Inszenierung (Regie und Bühnenbild Davide Livermore). Was will man mehr.
Die Regie aktualisiert den Narziss Mythos, befreit ihn von aller Tragik und führt ihn hin zur Operettenseligkeit (oder wenn man so will: zum gattungsbedingten lieto fine der opera seria). Im Klartext: Narziss dankt gleichsam ab, sagt dem Narzissmus wie dem Machismus Ade, heiratet die nach ihm so verrückte Eco und feiert – so das Finale – trunken und betrunken vom Champagner als Johannes Heesters Verschnitt Hochzeit in der Hotelbar. Und das Buffopaar – so will es die Operette – tut es ihm gleich. Oder wenn man so will: Secondo Uomo und Seconda Donna finden ebenfalls ihr gattungsbedingtes lieto fine.
Schuld an allen Händeln, allem Desaster und aller finalen Seligkeit ist natürlich Amor, der gleich in doppelter Gestalt auftritt: in den Personen von zwei Tänzerinnen, die auf der ‚realen‘ Ebene als Hotelboys fungieren und auf der ‚mythischen‘ Ebene als doppelter Amor mit ihren Liebespfeilen die Paare durcheinander und zueinander treiben. So wird in Innsbruck aus Domenico Scarlattis eher pastoralem dramma per musica eine höchst amüsante und witzige Operette mit Revue Einlagen. Eine solche Transformation und Aktualisierung eines alten Stückes ist zwar nicht unbedingt eine originelle Konzeption. Vor Jahren hatte zum Beispiel schon David Alden In München Cavallis La Calisto als Las Vegas Show in Szene gesetzt. Doch unterhaltsam, mag die Machart auch schon wieder traditionell geworden sein, sind solche aktualisierenden Varianten alle Male. Hinzu kommt, dass in Innsbruck die Regie die schon vom Libretto vorgegebene versöhnliche Variante des klassischen Mythos auf die Spitze treibt und in die Parodie umkippen lässt. Nur ein vom „König aller Weine“ betrunkener und trunkener Narziss kann sich der ihm so sehr verfallenen Nymphe Echo ergeben. Doch bevor es so weit kommt, muss immerhin noch dem Mythos bzw. der Variante, die Musik und Libretto vorschlagen, Genüge getan werden: Narziss verliebt sich nicht in sein eigenes Spiegelbild, das er im Wasser sieht. Im Wasser sieht er das Spiegelbild der Nymphe Echo. – „Da war’s um ihn geschehn“. Und die beiden Amor- Tänzerinnen – diesen Coup setzt die Regie in Innsbruck noch oben drauf – geben dem Armen den letzten Schub.
Spektakulär, so sagten wir, ist diese Inszenierung. Ein großes Spektakulum, eine Multimedia-Show im Wortverstande veranstaltet in der Tat beim Narciso die Turiner Produktionsgruppe D-Work mit ihren Video- Projektionen und ihren holographischen Szenerien. Da blinken über der Bar schon mal die Sterne, da funkeln die Blitze, da verirren sich die Protagonisten im virtuellen Wald, da überschwemmt virtuelles Wasser die Bühne, und Narciso taucht in Frack und Zylinder, die Champagnerflasche in Hand, tänzelnd aus den virtuellen Wassern auf. Johannes Heesters – wiedergeboren aus den Wassern? Und wiedererstanden sind die ‚golden Zwanziger‘? Wie dem auch sei. Eine musikalisch und szenisch höchst gelungene Produktion war mit dem Narciso in Innsbruck zu hören und zu sehen (Übrigens: man sollte Domenico Scarlatti nicht mit seinem Vater Alessandro Scarlatti verwechseln).
Wir sahen die Premiere am 29. August 2014.