„Hochmächtige Prinzessin“ Ariadne auf Naxos an der Oper Nürnberg

Wenn es nicht so abgegriffen wäre, wenn  durch ständigen Gebrauch der Begriff  sich nicht so sehr abgenutzt hätte, könnte man sagen, die Ariadne sei eine ‚postmoderne‘ Oper. Erfüllen doch Libretto und Musik in hohem Grade die Anforderungen einer postmodernen oder, wie man auch sagen könnte, einer manieristischen Ästhetik: eine virtuose Mischung der Stile, ein Zitieren und ein variierendes Evozieren unterschiedlicher Stiltraditionen und konträrer Gattungen, ein sich Anverwandeln des Überkommenden in die eigene Literatursprache bzw. in die eigene Klangwelt. Die Opera buffa mit ihren commedia dell’arte Figuren, die Opera seria mit ihrem Mythenpersonal, die Bravourarie der Zerbinetta mit ihrer Klavierbegleitung – beinahe wie bei einem Liederabend, das große Finale, das Duett Ariadne Bacchus mit großem Orchester – beinahe wie im Rosenkavalier.  ‚Manieristisch‘ (wieder so ein abgenutzter Begriff), manieristisch im Sinne eines überzeitlichen Spiels mit den Traditionen, manieristisch im Sinne von höchster Virtuosität und Kunstfertigkeit ist die Ariadne alle Male – und deswegen gefällt sie mir von allen Strauss Opern am allerbesten (und die manieristische Literatur – seit uns der Dozent damals in Freiburg im Seminar  darauf hingewiesen hat    –  erscheint mir seitdem als die eigentliche Literatur).  Wenn nun schon Musik und Libretto so höchst virtuos und manieristisch sind, dann bedarf es nur noch  brillanter Sänger und Musiker und noch dazu einer Inszenierung, die das Virtuose betont, es zur Grundkonzeption macht, und man kommt dem Ideal des ‚Gesamtkunstwerks‘ recht nahe. In Zürich hatte vor ein paar Jahren Claus Guth in seiner Inszenierung  der Ariadne geradezu eine Symbiose der Manierismen erreicht. Und Robert Carsen ist in München mit seiner Ariadne Ähnliches gelungen. In Nürnberg wird unter Leitung von Christof Prick  brillant  (oder wenn so will, ‚manieristisch‘) gesungen und musiziert.  Dort steht mit Heidi Elisabeth Meier eine Zerbinetta auf der Bühne, die mit Bravour und Grandezza alle Koloraturen der so schwierigen Partie meistert, eine Stimme, die in keinem Augenblick schrill oder gar spitz klingt, eine Stimme, der man in keinem Augenblick Anstrengung anmerkt.  Auch die  drei anderen großen Partien, die des Komponisten, die der Ariadne, die des Bacchus, sind in Nürnberg hochkarätig besetzt. Nur die Inszenierung kann mit der Virtuosität von Musik und Libretto nicht so recht mithalten. Zwar mangelt es ihr nicht an Einfällen, wenn sie  die Handlung in die Entstehungszeit des Werkes verlegt, wenn sie Opernklischees ironisch verfremdet (die Primadonna mit Schoßhündchen und Whiskyflasche, der Tenor mit Lebensgefährtem) oder wenn sie mit unmarkierten Bildzitaten arbeitet: Ariadne im blauen Kleid und langem roten Haar soll vielleicht an die präraffelitischen Schönheiten erinnern, das opulente Schlussbild mit Bacchus und Ariadne, die auf dem Flügel sich ihren Liebesspielen und Liebesphantasien hingeben, mag vielleicht an die bühnenwirksamen Tableaus  eines Cabanel erinnern  – und sie zugleich wieder zurücknehmen. Nichts ist ‚real‘. Alles entsteht ‚aus dem Geiste der Musik‘, denn „Musik ist eine heilige Kunst“.  War es das? Vielleicht. Von der Nürnberger Inszenierung bleibt – abgesehen von dem machtvollen Schlusstableau kaum etwas in Erinnerung. Was die Nürnberger Ariadne auszeichnet – und dies bleibt mir in Erinnerung – das ist ein höchst brillantes Singen und Musizieren.  Ein großer Opernabend am Staatstheater Nürnberg. Wir sahen die Vorstellung  am 14. Mai 2011. Die Premiere war am 4. Juli 2010