Lustlos – Freudlos -Heterogen -Faszinierend. Die Walküre in Paris

Lustlos – Freudlos – Heterogen – Faszinierend

Die Walküre (La Walkyrie) an der Opéra National de Paris

Wer bisher glaubte – und Bechtolfs Wiener Walküre  konnte ihn darin nur bestärken -, dass es in der Walküre, und dies zumindest im ersten Akt, um Sehnsüchte und Leidenschaften, um eine fatale Liebe als Passion ginge, der wird in Krämers Walküre eines anderen belehrt. Das Paar, das da in Paris zu einem  matt und müde, leise und quälend  langsam sich dahin schleppenden Sound verhalten und bedächtig sang und spielte, ja dieses Paar kann noch nie  von Erotik, geschweige denn von Leidenschaften etwas gehört haben.  Und wenn die beiden nach einer keuschen Erkennungsszene in einen Wald aus blühenden Mandelbäumen  fliehen – sie im weißen blumenbestickten Kleid, er im grauen Militarylook – dann ergibt das ein sehr hübsches Schlussbild, und die symbolischen Konnotationen liegen ja auch recht nahe (wie vorher schon bei der rieselnden Wasserwand). Aber ‚Liebe als Passion’ ist das alles nicht. Davon wollen weder Günter Krämer noch Philippe Jordan in ihrer Walküre etwas wissen. Für sie  flüchtet ein Nachsommerpaar vor einem dynamischen jungen Mann namens Hunding, dem Kommandanten einer schnellen Eingreiftruppe und Spezialisten für das Abschlachten von Flüchtlingen, zur Mandelblüte nach Mallorca. Eine seltsam lustfeindliche Interpretation des ersten  Akts der Walküre, der es wohl vor allem darauf ankommt, das Thema der Gewalt spektakulär herauszustellen. Gleich zur Ouvertüre darf Hundings Truppe Flüchtlinge massakrieren und damit Siegmunds Erzählung von Kampf und Flucht visualisieren. Allgemeine Begeisterung im Publikum nach dem ersten Akt. Warum eigentlich? Weil die Regie mit den Mandelblütenträumen vielleicht ein bisschen auf einen Proust Titel ( A l’ombre des jeunes filles en fleurs) verweisen wollte? Weil endlich mal wieder Wagner gespielt wird? Weil man sowieso nichts verstanden hat? „Qui  est ce jeune homme en tenue de chasse?“ (sie meinte Hunding) fragte mich in der Pause eine ältere Dame. « C’est le cocu Madame“ – da wusste sie gleich Bescheid, und ich als frustrierte Zugereiste überlegte, ob ich nicht doch  lieber gegenüber bei Bofinger Austern essen gehen sollte. Ich bin dann doch geblieben, zumal meine Freundinnen Ariadne und Marie Anne es doch nicht ganz so schlimm fanden. Und es hat sich gelohnt. Nach der Pause, da ist plötzlich alles anders. Da gewinnt das Orchester an Schwung, spielt endlich einen zwar nicht unbedingt rauschhaften, aber keinen langweiligen Wagner. Da zitiert Krämer sich selber: die Salzburger Spiegelbühne aus seinem Mitridate, da nimmt er Schlüsselmotive aus seinem Pariser Rheingold wieder auf, wenn  er wieder Leni Riefenstahls Sportstudenten Germania in großen Lettern aufstellen lässt, wenn er für die Walküren gleich eine ganze Ladung von Freias Äpfeln zum Spielen, zum Spielen mit dem Leben der „Heldensöhne“ bereit stellt, da beherrscht ein dynamischer junger Wotan in der Person des Thomas Johannes Mayer die Szene, und die Walküre kann zumindest gesanglich mithalten, da wird das Gewaltmotiv zugunsten des Todes- und des Endzeitmotivs zurückgedrängt. „Germania“ schrumpft zu „Mania“. Dem  endgültigen Abschied des Liebespaars fehlt aller süßliche Kitsch. Ein freudloser Tod erwartet die Liebenden, und aus dem Mandelblütenwald  winken schon die Walküren. Oder sind es die Nornen? Einen Kampf zwischen Siegmund und Hunding gibt es nicht. Soldaten der schnellen Eingreiftruppe umringen die beiden und als die Militärs sich erschreckt zurückziehen, da liegen die Rivalen tot am Boden, und das hohe Götterpaar, gleichsam zum Tableau vivant gefroren, schaut zu. Im dritten Akt  schließlich wird das Todesmotiv  für die Inszenierung zum einzig dominanten: Wotans nackte „Heldensöhne“ werden von Walküren Krankenschwestern für den Endkampf wieder fit gemacht, der tote Siegmund liegt als Präfiguration des toten Siegfried  auf einem  einer Bahre ähnlichen Tisch. Und im Schlussbild da wird der scheinbar so obligatorische Feuerzauber gerade mal angedeutet. Zur Feuermusik zitiert die Regie das Finale der Götterdämmerung: in einer verbrannten Welt stehen ratlos die Menschen. Ein unerwartetes Endzeitfinale in der Walküre. Doch was schon für das  Pariser Rheingold galt, das gilt nicht minder für die Pariser Walküre. Dem routinierten Theatermacher Krämer gelingen grandiose Bilder und beeindruckende Szenen. Doch eine das ganze konstituierende und strukturierende Grundkonzeption ist schwerlich zu erkennen. Vielleicht ist sie auch gar nicht beabsichtigt. Wir sahen die Aufführung am 20. Juni, die sechste Vorstellung dieser Inszenierung.