Die Katze mit Migrationshintergrund. Medea in Corinto an der Bayerischen Staatsoper

Die Katze mit dem Migrationshintergrund – Neuenfels inszeniert Medea in Corinto an der Bayerischen Staatsoper

Wir können aufatmen. Endlich nach so vielen Flops hat München wieder eine hoch artifizielle, vieldeutig konstruierte, provozierende Inszenierung im Programm, die fasziniert und begeistert (wenn auch nicht jedermann), eine Inszenierung, die nicht auf Trash und Kunstgewerbeschrott setzt, eine Inszenierung, die nichts mit den Produkten gemein hat, die Schauspieldirektoren, die „nicht von des Gedankens Blässe  angekränkelt“ sind,  einem unbedarften Touristenpublikum vor die Füße und an den Kopf zu werfen pflegen. In München inszeniert Neuenfels zum ersten Mal – und provoziert mitten im ersten Akt, wohl gemerkt: in einer Repertoirevorstellung,  mehrfach wütenden Protest und Buhkonzerte. Man kann es gar nicht glauben. In München ist der Neuenfels Stil, der in anderen großen Musiktheatern wie etwa in Stuttgart dem Publikum seit vielen Jahren vertraut ist, für viele brave Opernbesucher noch immer eine Provokation. Der Medea Mythos hat schon seine Tücken, und die Geschichte von der rachsüchtigen Fremden, die die Rivalin vergiftet und ihre eigenen Kinder tötet, um den Ehemann, der sich einer Frau aus seinem eigenen Kulturkreis zugewandt hat, zu demütigen und zu vernichten, all das ist ja schon nicht ganz leichte Kost. Und wenn dann die Regie das Gewaltpotential, das den Medea Mythos bestimmt, noch verstärkt, dieses nicht nur im Fremden, sondern auch im Heimisch-Vertrauten erkennt und noch dazu in Parallelhandlungen visualisiert, ja dann mag sich so manch braver Opernbesucher, der doch nur die meist sanfte und gefällige Musik Mayrs, die ihn wohl so fern an Mozartklänge erinnert, genießen wollte, provoziert und überfordert fühlen. Dabei zitiert Neuenfels doch nur aus Film und Fernsehen, aus Oper und  Gesellschaftskomödie, aus archaischen Märchen und allegorischem Spiel und bricht all diese Materialien durch Übertreibung und Ironie. „Man findet immer jemanden, der das ironisch Gemeinte ernst nimmt“, meinte einmal beiläufig Umberto Eco, und beim Münchner Publikum  hätte  er wohl manchen finden können, der mit seinem Verhalten diese alte These bestätigt hätte. Und dabei sind doch die Klischees, die  Neuenfels zitiert und ironisiert, gar nicht so schwer als solche  zu erkennen. Diese Mischung aus Wiener Parlamentsgebäude, Theatervorhalle und Second Empire Empore als Einheitsbühnenbild, die Uniformen aus der Zeit der Kolonialkriege, all das verweist auf das 19.Jahrhundert und dessen imperiale Macht über das Exotische. König Kreon kommt als ein in die Jahre gekommener buckliger, zur Macht gelangter Funktionär aus der französischen Revolution da her, Prinzessin Kreusa als eine Art Evita Perón Verschnitt, der arme Jason als ein betulicher lateinamerikanischer Militär, der abgewiesene Liebhaber Egeo ( im Schema der opera seria der secondo uomo) ist ein schwächlicher Don Ottovavio, seine drei Begleiter erinnern an die Schmugglerbrigade aus der Carmen und die Vertraute der Medea ist ein Biedermeierpüppchen, das Ännchen aus dem Freischütz. Medea selber erscheint bei ihrem ersten Auftritt mit Negermaske und Bambusröckchen, lässt Röckchen und Maske aber schnell fallen, um im schwarzen Unterkleid als leidende, rachsüchtige und hysterische Anna Magnani zu agieren, eine Magnani, die mit ihrer machtvollen Stimme, ihrer Bühnenpräsenz, ihrer schauspielerischer Dominanz alle  Mitspieler gleichsam an die Wand spielt und singt und der man doch eine archaisch blutrünstige Medea nicht so recht abnehmen will und die man eher mit einer rachsüchtigen Hausfrau und in ihrer Drahtigkeit mit einer Hochleistungssportlerin assoziiert. Neuenfels  – und dies macht nicht zuletzt den Reiz der Aufführung aus – lässt  kein Klischee  aus. Da werden zur Kavatine der Kreusa, die sie unter Harfenbegleitung vom Balkon des Palazzo singt, die Gefangenen im Keller vom sadistischen Dienstpersonal gefoltert, und der arme Egeo/Ottavio muss manchmal mit aller Kraft den Knebel ausspucken, um seine Arie weiter singen zu können. Hart im Raume, so wissen wir noch von Victor Hugo, stoßen sich halt das Sublime und das Groteske. Eros und Thanatos sind  in Gestalt eines blonden bzw. eines schwarz gelockten Jünglings mit dabei, spielen als stumme Begleiter mit, nehmen in der Pantomime das Geschick der Protagonisten vorweg: der Todesjüngling trägt das kostbare von Medea vergiftete Kleid herbei, das Kreusa, den Tod bringt, sucht diese vergeblich von der Hochzeit mit Jason abzubringen und entreißt ihr immer wieder den Brautkranz. Vergebliches Bemühen. Amor steht betrübt daneben, wenn  Medea am kleinbürgerlichen Küchentisch vergeblich ihre Beziehung zu Jason retten will, und gemeinsam spielen der Todesjüngling und der Erosjüngling die schlafenden Kinder, die Medea töten wird. Als Vorwegnahme des künftigen Geschehens – der Mord an  Kreusa  und die allgemeine Orgie  der Gewalt – fungieren gleich die ersten Szenen: da werden die Brautjungfern abgeschlachtet, die „Neger“ in Messerstechereien gehetzt und der Sieger abgeknallt – zwei Szenen, die gleich ein gewaltiges Buh im Hause provozierten, und dabei sind sie doch nichts anderes als variierende Zitate aus Action- oder Pulp Fiction Filmen, die anders als bei diesen hier in der Münchner Medea eine dramaturgische Funktion haben: eben Vorwegnahme und zugleich konzentrierende Duplikation der Handlung. So macht Neuenfels aus einer heute fast vergessenen opera seria (in St. Gallen war sie in der vergangenen Saison zu sehen) einen grandiosen, spannenden Opernabend. Und wenn dann noch dazu eine so herausragende Sängerin und Schauspielerin wie Nadja Michael als Protagonistin auf der Bühne steht und Ivor Bolton dirigiert, dann bleiben keine Wünsche offen. Wir sahen die Vorstellung am 16. Juni 2010, die dritte Aufführung nach der Premiere am 7. Juni 2010.